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Körperbilder – Stationen einer Heldin

Dokumentation der Recherche in Auszügen von Andrea Kilian

 

Prolog

Das mediale Auftreten Greta Thunbergs verfolge ich seit ihren ersten Klimastreiks im August 2018. Im März 2020 tritt sie vor den Umweltausschuss des EU-Parlaments. Sie erschien mir wie eine moderne Jeanne d`Arc. Dieses Bild hat mich nicht mehr losgelassen; seither sammele ich Material zu ihrer Person, zur historischen Jeanne d`Arc, aber auch zum Thema Heldentum, Heroismus. 

Zwei junge Frauen, die für etwas brennen, damit laut werden und dafür gleichermaßen verteufelt und glorifiziert werden. Jeanne d´Arc: Retterin Frankreichs oder Mörderin? Greta Thunberg: Heldin oder Klimaterroristin? Was macht das mit der Persönlichkeit, mit dem Körper? Wie schreiben sich Wut, Hass und Anbetung in den Körper hinein? Welche Spuren hinterlässt das?

Ich möchte Ähnlichkeiten zwischen dem Werdegang der Jeanne d`Arc und dem Werdegang von Greta Thunberg untersuchen. Mich physisch annähern an diese jungen Frauen, an die Rolle einer Heldin und dem Thema „Fabrikation und Dekonstruktion von Heldinnen“ nachforschen. Gibt es so etwas wie einen universellen Werdegang einer Heldin?

 

1. Station _ weitere Fragen und Aspekte

In der Stoffgeschichte gibt es bis ins 20. Jahrhundert nur Männer, die sich mit Jeanne d`Arc beschäftigen und über sie schreiben, wie beispielsweise Brecht, Schiller, Shakespeare, Anouilh und G.B. Shaw. Durch diese wird sie mal zur Volksheldin, Nationalheldin, zur Arbeiterkämpferin oder Heiligen. In Frankreich wird Jeanne d`Arc heutzutage von den verschiedenen politischen Richtungen und Parteien instrumentalisiert. Wer war sie wirklich?

An der Spitze der globalen Fridays for Future-Bewegung gibt es überwiegend junge Frauen. Warum werden diese jungen Frauen medial so heftig zerrissen? Handelt es sich da um strukturellen Frauenhass? Gibt es eine weibliche Art zu kämpfen, politisch zu sein? Wie gehen Gesellschaften mit Heldinnen um? Wie gehen wir in Deutschland mit Heldinnen um? Ertragen wir sie nur als Comic-Darstellung? Warum ist das Asperger-Syndrom von Greta und auch die vermeintliche Manipulation durch ihre Eltern interessanter als die Sache selbst, als das was sie zu sagen hat?

 

2. Station _ der historische Kontext

Neben dem medialen „Shitstorm“ dem Greta Thunberg und andere junge Frauen der FFF-Bewegung ausgesetzt sind, gibt es auch eine Art „historischen Shitstorm“. Da ist zunächst der Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694 – 1778), der Jeanne d`Arc in seinem 21 Gesänge umfassenden Gedicht „La Pucelle“ (Beginn ca. 1730, Drucklegung 1762) als simple Magd verspottet. Voltaire lässt sie, statt auf einem weißen Schimmel, auf einem geflügelten Esel reiten, auch mal nackt.

Bei Voltaires Johanna gibt es keine göttliche Eingebung, keine Engel. Johanna muss von ihrem Auftrag, gegen die Engländer in den Krieg zu ziehen, erst überzeugt werden. Außerdem ist ihre schwer zu verteidigende Jungfräulichkeit, ständiges Thema des Gedichtes und die Bedingung für Frankreichs Sieg. Mit „La Pucelle“ legt Voltaire den Umgang mit dem Thema Jeanne d`Arc für eine gewisse Zeit auf diese satirisch-komische Behandlung fest, blockiert also eine seriöse Stoffbehandlung.

Erst durch Schillers Gedicht „Das Mädchen von Orleans“ (1801) und das dann folgende Theaterstück „Die Jungfrau von Orleans“ wird Jeanne rehabilitiert. Schiller hebt sie empor aus dem Schmutz und erschafft gleichzeitig ein romantisierendes Bild. Er stilisiert Johanna zur jungfräulichen Gotteskriegerin, die gehorsam dem „höheren Auftrag“ folgt.

 

Das Mädchen von Orleans

Das edle Bild der Menschheit zu verhöhnen,
Im tiefsten Staube wälzte dich der Spott,
Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen,
Er glaubt nicht an den Engel und den Gott,
Dem Herzen will er seine Schätze rauben,
Den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben.

Doch, wie du selbst, aus kindlichem Geschlechte,
Selbst eine fromme Schäferin wie du,
Reicht dir die Dichtkunst ihre Götterrechte,
Schwingt sich mit dir den ewgen Sternen zu,
Mit einer Glorie hat sie dich umgeben,
Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich leben.

Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn,
Doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen,
Die für das Hohe, Herrliche entglühn,
Den lauten Markt mag Momus unterhalten,
Ein edler Sinn liebt edlere Gestalten.

Gedicht von Friedrich Schiller

 

3. Station _ Annäherung an das Thema

Als Einstieg erarbeite ich mir Schillers Gedicht sprachlich und nehme es auf, um mich in einem nächsten Schritt den Figuren auf der Grundlage des EMBODIMENT zu nähern: Eine äußere Haltung bedingt eine innere, hinterlässt einen Abdruck und umgekehrt, eine innere Haltung prägt oder formt wiederum die Äußere; ich analysiere Haltungen, Gesten, Mimik, aber auch Stimme und Sprache, um sie dann auf den eigenen Körper übertragen und damit spielen zu können.

Ich begebe mich in die Figuren hinein, verkörpere und imitiere sie. Ich nehme die Reden Gretas als Ausgangspunkt und bringe sie in Bewegung, mache sichtbar was ich gehört und empfunden habe. Es entstehen erste getanzte Miniaturen, ein emotionales Bewegungsrepertoire. 

 

Tanz MiniaturTanz Miniatur

Tanz MiniaturTanz MiniaturTanz Miniatur Tanz Miniatur

 

 

 

 

 

 

 

 

Eigentlich nur zu Dokumentationszwecken entstanden, wird das Video- und Audiomaterial fortan zum Spielmittel meiner Recherche.

Ich lege den O-Ton von Gretas Rede und auch von anderen Reden auf das Video meiner Tanzminiatur. Mein Körper wird dadurch Vermittler, die Bewegung eine Art Begleiter der ursprünglichen Originalreden Gretas. Durch diese Reibung, erhalten Gretas Reden eine weitere (physische) Ebene.

Zusätzliche Impulse erhalte ich durch den Film „Jeanne“ von Bruno Dumont. Ein Song gegen Ende des Films, gesungen von CHRISTOPHE, ist leicht asynchron. Ein Moment wie bei einem Schlagersänger, der nicht ganz auf seinem Playback „sitzt“. Es entsteht eine Störung, Reibung, Entkoppelung, Verfremdung.

 

Schiller + TanzminiaturSchiller + Tanzminiatur

Das inspiriert mich dazu, mit meinem eigenen akustischen, visuellen und körperlichen Material anders umzugehen: es zu mischen, übereinander zu legen, das Material zu konfrontieren, nach Mitteln der Dekonstruktion, Verfremdung zu suchen. 

 

Ich konfrontiere die Tanzminiatur, also eine von Gretas Reden in Bewegung, mit Schillers Gedicht der Jungfrau von Orleans. Emotionaler Ausdruck des Gedichtes und die Bewegungen der Miniatur ergänzen sich, kommentieren und untermalen indirekt die Rede Greta Thunbergs.  

 

4. Station _ die CROSSOVER – Recherche

Ich experimentiere weiter mit verschiedenen Sprechhaltungen, imitiere Gretas Rede vor der UN, um mich ihrem Rhythmus, ihrer Emotion zu nähern. Indem ich die Rede mit anderen Textauszügen konfrontiere (Brecht: Heilige Johanna der Schlachthöfe und Schiller: Die Jungfrau von Orleans), sie mit diesen Fremdtexten synchronisiere, wird eine Spannung, Verfremdung und Reibung erzeugt. Ihre Reden erhalten ein literarisches Gegenüber, bekommen dadurch eine erweiterte Bedeutung und ein neues Zuhören ist möglich.

 

Un Rede SynchronisationUn Rede Synchronisation

UN Rede + FremdtextUN Rede + Fremdtext

 

 

 

 

 

 

 

 

Daneben tauche ich ein in den Körper einer SUPER-HELDIN, beschäftige mich mit Wonder Woman. Die Comic-Figur des prüden Amerika der 40er Jahre ist heute ein Blockbuster. Inspiriert von den Suffragetten wurde sie von William Marston und seinen beiden Frauen Elizabeth Holloway und Olive Byrne in den 40er Jahren als feministische Ikone erdacht.

 

Haltungsarbeit Wonder WomanHaltungsarbeit Wonder Woman

Ausgewählte Bild-Darstellungen von Wonder Woman (seit den 70ern bis heute) dienen mir für die Recherche über Wonder Woman als Vorlage.

 

Auch hier kopiere ich die äußere Haltung, Gesten, Mimik, nehme die Körperspannung von Wonder Women ein. Ich forsche darin nach Emotionen, Gedanken und Worten und setze das in Bezug zu meinen anderen Recherchen über Greta, Jeanne und Johanna.

 

 

 

5. Station _ eine musikalische Begegnung JOHANNA MEETS GRETA

Als musikalisches Cross-Over entsteht eine Collage in Zusammenarbeit mit Max Bauer (Geräuschemacher und Musiker). Ein von ihm komponierter Beat wird für mich zur Grundlage des Einsprechens. Ich spreche das Gedicht von Schiller, Auszüge aus dem Berg-Monolog von Johanna/Schiller und Auszüge aus der UN-Rede von Greta Thunberg auf den Beat. Die Texte werden im gleichen Rhythmus vereint und collagiert.

Hier der Link zur MUSIK COLLAGE !

 

Epilog

Mein physischer Rechercheansatz ist der Versuch mich der (fiktiven) Figur der Johanna, der (historischen) Jeanne d`Arc und vor allem der heutigen jungen Umweltaktivistin Greta Thunberg zu nähern – jungen Heldinnen. Der Unmut über die Instrumentalisierung und Zerstörung weiblicher charismatischer Figuren war die ganze Zeit mein emotionaler Motor. Ich möchte weiterhin der Frage nach unserem gesellschaftlichen Umgang mit Heldinnen nachgehen. Werden ihre Geschichten erzählt und wie? Für eine Vorbildfunktion müssen Held*innen sichtbar werden, heldenhaftes Tun braucht ein Narrativ. Meine performative Auseinandersetzung mit Heldinnen möchte ein Narrativ suchen, das sich nicht von vermeintlich geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Vorurteilen nährt, sondern mithilfe vielfältiger künstlerischer Mittel, durch Überlagerung der Erzählungen, Bilder und Interpretationen neue Zusammenhänge schafft; ein Narrativ das die (radikale) Konfrontation der Figuren vorantreibt, ihren Motivationen, Positionen und Handlungen nachlauscht, sie erforscht und möglichst freilegt. 


Foto: Peter KeesFoto: Peter Kees